«Der Klimawandel wird extremere Folgen haben»

5 Minuten Lesezeit
23. Juni 2021

Das weltbekannte Fotografenpaar Mathias Braschler und Monika Fischer dokumentierte den Klimawandel und seine Folgen 2009 mit seiner Arbeit «The Human Face of Climate Change». Die Portraits und die Schicksale dahinter sind aktueller denn je.

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Das Fotografenpaar Monika Fischer und Mathias Braschler im Selbstportrait vor dem Morteratschgletscher.

Es ist fast 12 Jahr her, seit sie mit der Dokumentation zum Klimawandel und dessen Folgen begannen. Was denken sie als erstes, wenn sie diese Bilder heute sehen?

Monika Fischer: Dass sie nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüsst haben. Im Gegenteil. Die Situation für diese Menschen hat sich noch massiv verschlechtert.
Mathias Braschler: Unsere Wahrnehmung des Klimawandels hat sich einfach verändert. Seither ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit angekommen. 2009 hatte man zwar vom Klimawandel gewusst, aber wir mussten viel längere Diskussionen führen. Die Leute waren skeptisch, ob uns das wirklich betrifft.

Stimmen die Bilder noch mit der heutigen Realität überein?

Braschler: Teilweise sind sie schon überholt. Wir haben Chrigel Kaufmann 2009 vor dem Grindelwaldgletscher fotografiert. Der Gletscher existiert heute praktisch nicht mehr. Kaufmann war 2009 in Grindelwald einer der wenigen, die sagten: «Wir haben ein Problem!»
Heute – sagt er uns – weiss das in Grindelwald jeder.

Wie ist die Situation in der Sahelzone oder in Sibirien heute?

Braschler: Auch da gab es eine massive Verschlechterung für die Menschen. Die Vorhersagen des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, d. Red.), die wir 2009 in Vorbereitung auf die Dokumentation lasen, wurden übertroffen. Es ging schneller, als alle dachten.
Fischer: Wie es den einzelnen Menschen geht, die wir besuchten, wissen wir nicht. Aber wir sehen beispielsweise, dass die Buschfeuer in Australien oder Kalifornien fast jedes Jahr noch zahlreicher und zerstörerischer werden. In der Himalaya-Region sind die Sturzfluten heftiger geworden. Und wir sehen natürlich hier in der Schweiz, wie schnell die Gletscher schmelzen.

Ist es emotional schwierig, wenn sie eine Tragödie mit der Kamera dokumentieren? Wenn den Menschen die Lebensgrundlage wegbricht?

Fischer: Zu der Zeit dachten wir phasenweise schon: Die Welt ist bald am Ende. Denn es gab viele Leute, die am Abgrund standen. Es veränderte sich so vieles. Sie hatten keine Möglichkeiten mehr, sich anzupassen. Womit wir bei der Klimagerechtigkeit sind. Wir, die grössten Verursacher, können uns anpassen, weil wir die Möglichkeiten haben. Die Finanzen. Aber die Menschen, die vom Land leben, können das nicht. Wir mussten uns emotional dazwischen auch wieder etwas distanzieren. Sonst wären wir zu negativ geworden.
Braschler: Wir können nicht alles verändern. Aber wir können die Geschichten erzählen. Das machen wir nach wie vor. Das haben wir den Menschen versprochen. Wir gehen raus und sagen, was mit euch passiert.

Haben sie ihren Lebensstil wegen diesen Erfahrungen verändert?

Braschler: Natürlich passen wir uns an. Unter anderem beim Einkauf von Nahrungsmitteln oder beim Auto. Wir hatten zuvor ein ziemlich grosses, einen Jeep, weil wir als Fotografen immer viel Material transportieren müssen. Es geht jetzt auch mit einem kleineren, verbrauchsärmeren. Kleine Dinge machen am Ende auch einen Unterschied, wenn man sie zusammenzählt.
Fischer: Niemand ist machtlos. Wir müssen uns einfach immer dran erinnern. Es ist einfacher, alles zu ignorieren. Zu sagen: momentan geht es mich gerade nichts an. Aber es ist wichtig, uns das vor Augen zu führen, immer wieder.

Als weltweit gefragtes Fotografenpaar waren sie auch oft mit dem Flugzeug unterwegs.
Wie lösen Sie dieses Problem?

Braschler: Es ist immer ein Zwist. Das wurde ja auch Al Gore vorgeworfen, der für den Klimawandel sensibilisierte und dafür um die Welt flog. Wir können Dinge bewegen, wollen unseren Fussabdruck aber auch im Griff haben. Für Ferien fliegen wir praktisch nirgends mehr hin. Schnell nach Südafrika, weil es dort am Strand noch schön ist: Das gibt es nicht. Auch Städtereisen mit dem Flugzeug gibt es nicht. Aber dennoch: Unser CO2-Fussabdruck ist überdurchschnittlich gross. Ohne Wenn und Aber.
Fischer: Zum Glück bewegen wir auch etwas. Die Eisbären haben eine Lobby, weil es viele Bilder über ihr Schicksal gibt. Aber die Veränderung für die Menschen muss auch dokumentiert und ihre Geschichten erzählt werden.

Zum Glück bewegen wir auch etwas. Die Eisbären haben eine Lobby, weil es viele Bilder über ihr Schicksal gibt. Aber die Veränderung für die Menschen muss auch dokumentiert und ihre Geschichten erzählt werden.»

Es gibt auch in Mitteleuropa oder den USA noch viele Menschen, welche die Auswirkungen des Klimawandels herunterspielen. Setzen Sie sich mit solchen Leuten auseinander?

Braschler: Bei gebildeten Menschen, die das nicht wahrhaben wollen, macht das keinen Sinn. Es ist dann eine Glaubensfrage und keine Wissensfrage. Es ist ihr Dogma. Sie wollen es nicht. Es ist unbequem und kommt ihnen nicht gelegen.
Fischer: Sie wollen ihren Lebensstil nicht aufgeben. Und darum nichts verändern. Aber sie werden irgendwann begreifen, dass wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis ins Verderben führt. Interessant ist ja, dass man die Bauern – die oft SVP wählen – nicht davon überzeugen muss. Sie sehen, was mit der Natur passiert. Auch ihre Tiere spüren es. Es ist real.

Sie wollen ihren Lebensstil nicht aufgeben. Und darum nichts verändern. Aber sie werden irgendwann begreifen, dass wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis ins Verderben führt.»

Berühren emotionale Bilder wie ihre Dokumentation «The Human Face of Climate Change» heute noch gleich oder sind viele schon zu abgestumpft?

Fischer: Ich glaube nicht, dass die Menschen abgestumpft sind. Im Gegenteil. Ich glaube, sie sind sensibilisierter für das Thema. Auch die Jungen, die viel informierter sind als noch unsere Generation. Auch wenn wir unsere Bilder in Schulen zeigen, spüren wir die Anteilnahme und das Interesse.
Braschler: Es gibt natürlich eine bestimmte Spezies Mensch, denen ist alles egal. Man kann ihnen vorsetzen, was man will. Sie ignorieren es. Die erreicht man sowieso nicht. Aber die Fridays-for-Future-Generation wird bestärkt durch solche Geschichten. Ich glaube an die Wirkung dieser Bilder. Sie war jene, die von allen unseren Arbeiten, mit Abstand am stärksten wahrgenommen wurde. Sie wurde oft gezeigt und wird nicht alt.

Sie haben 2018 auch die Serie «act now» fotografiert, Portraits von Prominenten wie Richard Branson oder Giselle Bündchen, die sich für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzen. Sind solche Menschen, die einen enormen Fussabdruck haben, glaubhaft?

Braschler: Es sind Menschen, welche sich für die Sache einsetzen. Natürlich gibt es Abstufungen. Ein Mark Ruffalo nimmt das absolut ernst. Er lebt das mit jeder Faser. Richard Branson führt halt einen Lebensstil, der nicht wirklich kompatibel ist mit dem Signal, dass sich etwas verändern muss, und Giselle Bündchen auch nicht.

Juliana Pacco Pacco, 44, Lamahirtin in Paru Paru, Peru "Als ich noch ein Kind war, waren diese Berge sehr schön, doch das ändert sich. Jetzt sind sie sehr hässlich. Daran ist bestimmt die Klimaveränderung schuld. Das Wetter ist sehr schlecht. Es regnet und schneit zu Zeiten, in denen man es nicht erwartet. Früher gab es viel Weideland, doch in den letzten Jahren verändert sich alles und die Situation wird immer schwieriger. Die Tiere finden nicht genug Futter und sind anfälliger für Krankheiten. Dadurch sind die Herden kleiner geworden, und die Tiere sind nicht so fett wie früher. Wenn wir zu wenig produzieren, haben unsere Kinder nicht genug zu essen und immer mehr Menschen werden vielleicht wegziehen. Möglicherweise werden sich die Kinder anderswo Arbeit suchen. In den peruanischen Anden steigen die Temperaturen, die Niederschlags­muster verändern sich, und einige der höchsten Eisfelder der Welt, darunter der Gletscher auf dem Ausangate, schmelzen einfach weg."
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Fischer: Sie nimmt es sehr ernst. Auch wenn sie die Frau von Tom Brady ist, der als Republikaner andere Werte vertritt. Bei Branson sehe ich es so: Wir brauchen auch mächtige Leute aus der Wirtschaft, um etwas zu verändern.
Braschler: Wenn Branson hinsteht und sagt, dass wir etwas machen müssen, hat es halt einen Effekt. Jeder kennt ihn. Und er hat Einfluss.
Fischer: Wir brauchten neben den Direktbetroffenen noch eine andere Geschichte mit anderen Menschen. Sie erreichen ein anderes Publikum. Das Vanity-Fair-Publikum beispielsweise, das sich über andere Dinge definiert.

Im Corona-Jahr standen Gesundheit und die Wirtschaft im Vordergrund und das Thema Klimawandel in den Hintergrund gedrängt. War es auch deshalb ein verlorenes Jahr?

Braschler: Ich glaube, das Jahr hat uns auch viel zum Nachdenken gebracht. Und gerade in der Wirtschaft gewisse Dinge bewegt. Jede Firma weiss jetzt, dass man nicht für jedes Meeting rund um die Welt fliegen muss, sondern es über Zoom machen kann. Aus rein wirtschaftlichen Gründen. Daran werden die Airlines keine Freude haben. Aber so muss es sein! Das ist positiv. Und Corona ist irgendwann durch. Der Klimawandel wird extremere Folgen haben – daher werden sich auch die Menschen wieder vehementer engagieren.
Fischer: Viele Menschen waren auch in der Natur, haben blaue Himmel ohne Kondensstreifen gesehen. Das hat sicher auch etwas gebracht.

Vanity Fair oder Time Magazine, Guardian oder Der Spiegel – das Fotografenpaar Mathias Braschler und Monika Fischer publiziert seine Arbeiten seit vielen Jahren in weltbekannten Medien. Nebst vielen anderen Auszeichnungen gewannen sie einen World Press Photo Award. Die beiden leben mit ihrem Sohn in Zürich und New York.
braschlerfischer.com

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Autor:in: Christian
Bürge
Der Journalist ist Co-Founder und Chefredaktor des Magazins
Go Green.
www.christianbuerge.com
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